Schleswig-Holsteinischer ZahnÄrztetag 2010
»Der Schmerzpatient«

27. März 2010 | 8.30 - 17 Uhr | Neumünster | Holstenhallen

Herzlich willkommen! > Referenten > Prof. Dr. Hartmut Göbel > Hämmern und Bohren im Kopf

Hämmern und Bohren im Kopf


Neue Entwicklungen in der Behandlung von Migräne und Kopfschmerzen




Prof. Dr. Dipl.- Psych. Hartmut Göbel

Kopfschmerzen zählen zu den großen Volkskrankheiten. In den letzten Jahren sind bedeutsame Fortschritte in der Diagnostik und Therapie von Kopfschmerzen erzielt worden. Dieses Wissen steht für die Anwendung und die Umsetzung an. Der Vortrag konzentriert sich auf primäre Kopfschmerzer-krankungen sowie ausgewählte sekundäre Kopfschmerzen und Neuralgien.

Migräne ist eine der häufigsten Erkrankungen des Menschen. Rund 18% der Frauen und 8% der Männer sind über Jahrzehnte ihres Lebens betroffen. Die Erkrankung beginnt in der Kindheit, ist be-sonders häufig in der Jugend und im mittleren Lebensalter. Migräne zählt nach Graduierung der WHO zu den besonders schwer behindernden Leiden. Sie geht mit starken Schmerzen, ausgeprägten Be-gleitsymptomen und nachhaltiger Reduktion der Lebensqualität einher. Migräne ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Fortschritte in der Klassifikation, in der Diagnostik, im Verständnis der Pathophysiologie und in der Behandlung machen Migräne zu einer der bestverstandenen und best-behandelbaren neurologischen Erkrankungen. Pathophysiologische Grundlage ist eine Reizverarbei-tungsstörung des zentralen Nervensystems. Veränderungen des Na+/K+-ATPase-Gens ATP1A2 kön-nen bei Migränepatienten zu einem Verlust der Funktion der neuronalen Ionenpumpe und damit zu einer Störung der Nervenerregbarkeit führen. Die Folge kann eine episodisch auftretende Störung der Energieversorgung in den Nervenzellen bei übermäßiger Reizung des Nervensystems von Migräne-patienten sein. Dies führt zu einer übermäßigen Freisetzung von schmerzauslösenden Nervenboten-stoffen und Aktivierung des trigemino-vaskulären Systems.

Migräne tritt individuell sehr heterogen auf. Die aktuelle internationale Kopfschmerzklassifikation (www.ihs-klassifikation.de) differenziert 23 verschiedene Migräneformen. Die Attacken können zudem in unterschiedlicher Häufigkeit, Schwere, Dauer und Behinderung eintreten. Nur 3 von 10 Betroffenen wissen, dass sie an Migräne leiden. Fehlende oder irreführende Diagnosen, inadäquate Krankheits-konzepte, Fehl und Unterbehandlung sind eine stille Epidemie. Neben dem individuellen Leid bedingt die Migräne in der Folge eine große Belastung der Versichertengemeinschaft durch direkte und indi-rekte Kosten. Aufgrund der Häufigkeit und des langen Auftretens über lange Lebensspannen von der Kindheit bis in das Alter zählt Migräne auch zu den teuersten neurologischen Erkrankungen.

Ziel der Migränetherapie muss sein, möglichst schnell und initial eine effektive Behandlung der Atta-cken zu ermöglichen, Ausfallzeiten zu vermeiden und die migränebedingte Behinderung zu reduzie-ren. Wichtigster Schritt in der Therapie ist Wissenserwerb und Anpassen des Verhaltens. Die wirk-samsten Substanzen in der Akuttherapie der Migräne sind die 5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten, die sog. Triptane. Die sieben in Deutschland erhältlichen Triptane unterscheiden sich hinsichtlich Effektivität, Verträglichkeit, Wirkgeschwindigkeit und Wirkdauer. Zudem sind sie in unterschiedlichen Darrei-chungsformen erhältlich. Für die nächsten Jahre zeichnen sich neue Therapieoptionen durch CGRP-Antagonisten ab. Zur Vorbeugung stehen zahlreiche unterschiedliche Arzneimittel zur Verfügung.

Mit dem bundesweiten Kopfschmerzbehandlungsnetz wurde erstmals ein flächendeckendes koordi-niertes Versorgungsnetzwerk geschaffen, um die Behandlungsqualität überregional zu verbessern. Die Schmerzklinik Kiel übernimmt dabei die bundesweite Koordination des Netzwerkes, die umfas-sende Information der Patienten, die Fortbildung und den Erfahrungsaustausch der Therapeuten. Ein bundesweites Netzwerk von ambulant und stationär tätigen Schmerztherapeuten in Praxen und Klini-ken wirkt Hand in Hand zusammen, um Schmerzen fach- und sektorenübergreifend mit modernen Methoden optimal zu lindern. Die Qualität der Behandlung ist durch kontinuierliche wissenschaftliche Begleitforschung belegt, die nachhaltige Kosteneffizienz in allen Sektoren des Gesundheitssystems ist durch Analyse der direkten und indirekten Kosten bestätigt. Mittlerweile sind fast alle großen Kran-kenkassen dem Versorgungsprojekt beigetreten. Das Behandlungsnetz  belegt die hohe klinische und wirtschaftliche Effizienz der spezialisierten Schmerztherapie. Es zeigt, dass durch eine  effektive  und zeitgemäße koordinierte Therapie Schmerzen effektiv gelindert, Kosten nachhaltig gesenkt und Ar-beitsunfähigkeit abgewehrt werden können. Die Patientenzufriedenheit ist sehr hoch. Über Risk-Share-Regelungen können auch die Leistungserbringer direkt am Erfolg ihrer Therapie partizipieren. Das Behandlungsnetz ist ein Beispiel für ein überregionales Netzwerk unter Einbindung spezialisierter Medizinkompetenz, das die Entwicklung neuer hocheffektiver Versorgungslandschaften ermöglicht.

Infos unter www.schmerzklinik.de


 

Diese Seite drucken!