Schleswig-Holsteinischer ZahnÄrztetag 2010
»Der Schmerzpatient«

27. März 2010 | 8.30 - 17 Uhr | Neumünster | Holstenhallen

Rückenschmerzen im Gesicht?



Jens C. Türp


Am 2. November 1885 äußerte Prof. Dr. C. Gerhardt anlässlich der Eröffnung der zweiten medizinischen Klinik (Klinik für Innere Medizin) an der Berliner Universität: „Für die rein functionellen Störungen haben wir nur eine Möglichkeit der Prüfung aufgestellter Ansichten. Sie liegt in sorgfältiger Weiterbeobachtung. Auch da müssen wir uns manchmal von dem Gange der Thatsachen belehren lassen und die ursprüngliche Meinung ändern. Wer dies nicht könnte, würde für seine Mitmenschen gefährlich.“ Diese weise Aussage gilt bis heute auch für die funktionellen Störungen im Gesichtsbereich.

In Abkehr von dem traditionell-mechanistischen Denken, das einen nicht unerheblichen Teil der zahnmedizinischen Disziplinen bis heute prägt, bedarf die Diagnostik und Therapie von Beschwerden in den Kiefermuskeln und -gelenken einer medizinischen Sichtweise, welche Variationen der Normalität (z. B. Gelenkgeräusche) von zweifelsfrei behandlungsbedürftigen Zuständen (z. B. Schmerz) zu trennen vermag. Vor diesem Hintergrund erarbeitete eine Arbeitsgruppe in der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Myoarthropathien des Kausystems [1,3,4]. Diese Leitfäden unterscheiden sich vom Prinzip her nicht von der Vorgehensweise, die in der Orthopädie/ Rheumatologie bei vergleichbaren Beschwerden in den Rückenmuskeln (Kiefermuskeln) und der Lendenwirbelsäule (Kiefergelenke) üblich ist. Die Empfehlungen berücksichtigen auch den Sachverhalt, dass Patienten mit persistierenden muskuloskelettalen Gesichtsschmerzen und solche mit Dauerschmerzen im (beispielsweise) unteren Rückenbereich bezüglich schmerzassoziierter psychosozialer und verhaltensbezogener Faktoren deutliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Damit gewinnt die Zahnmedizin in einem wichtigen Bereich direkten Anschluss an die (Schmerz-)Medizin, wodurch der selbstbewusste Anspruch „Zahnmedizin ist Medizin“ [2] zumindest in diesem Bereich unseres Fachgebietes voll erfüllt werden kann.


Literatur
1.    Hugger A, Schindler HJ, Bohner W, Nilges P, Sommer C, Türp JC, Hugger S: Therapie bei Arthralgie der Kiefergelenke: Empfehlungen zum klinischen Management. Schmerz 2007;21:116-130
2.    Meyer G: ZahnMEDIZIN im Wandel. In: Schwarz M, Frank M, Engel P (Hrsg) Weißbuch der ZahnMedizin. Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen einer zukunftssicheren Gesundheitsversorgung. Band 1. Berlin: Quintessenz, 2007, 301-307
3.    Schindler HJ, Türp JC, Sommer C, Kares H, Nilges P, Hugger A: Therapie bei Schmerzen der Kaumuskulatur: Empfehlungen zum klinischen Management. Schmerz 2007;21:102-115
4.    Türp JC, Hugger A, Nilges P, Hugger S, Siegert J, Busche E, Effenberger S, Schindler HJ: Aktualisierung der Empfehlungen zur standardisierten Diagnostik und Klassifikation von Kaumuskel- und Kiefergelenkschmerzen. Schmerz 2006;20:481-489


 

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