Schleswig-Holsteinischer ZahnÄrztetag 2010
»Der Schmerzpatient«

27. März 2010 | 8.30 - 17 Uhr | Neumünster | Holstenhallen

Wenn der Schmerz trügt



Jens C. Türp


Atypische Odontalgie, anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz sowie idiopathisches Mund- und Zungenbrennen sind durch mehrere Gemeinsamkeiten gekennzeichnet: Sie weisen eine geringe Inzidenz und Prävalenz auf und ihre Pathogenese ist unbekannt, d.h. es handelt sich um Ausschlussdiagnosen. Die Therapie ist rein symptomatisch (wobei der Patientenaufklärung eine wichtige Rolle zukommt und irreversible Maßnahmen kontraindiziert sind), und die Prognose ist unsicher.

Bei der atypischen Odontalgie (Phantomzahnschmerz) handelt es sich um einen neuropathischen Dauerschmerz, der teils ohne offensichtliche Begründung, teils nach Deafferenzierung peripherer trigeminaler Nervenfasern im Zuge einer Wurzelkanalbehandlung, Wurzelspitzenresektion oder Extraktion auftreten kann [4]. Unter Berücksichtigung der Evidenz aus klinischen Studien wird folgender Therapie-Algorithmus vorgeschlagen [1]: 1. Aufklärung des Patienten; 2. therapeutische Lokalanästhesie mit vasokonstriktorfreiem Articain [5]; 3. wiederholte lokale Applikation von 0,025%igem Capsaicin und/oder Lidocain; 4. niedrig dosiertes trizyklisches Antidepressivum; 5. Gabapentin oder Pregabalin; 6. Tramadol oder Oxycodon. Ferner sind schmerzpsychologische Verfahren (z. B. Entspannungstherapie) empfehlenswert.

Die Behandlung des anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerzes ist ähnlich: Nach der Aufklärung sollten (trizyklische) Antidepressiva und Antikonvulsiva versuchsweise eingesetzt werden; darüber hinaus werden verhaltenstherapeutische Maßnahmen empfohlen [3].

Auch beim Mund- und Zungenbrennen liegen für die kognitive Verhaltenstherapie Hinweise für eine therapeutische Wirkung vor. Bedauerlicherweise sind die wenigen Veröffentlichungen zu randomisierten klinischen Studien über pharmakologische Therapiemaßnahmen durch teilweise erhebliche methodische Mängel gekennzeichnet. Dessen ungeachtet scheinen Alpha-Liponsäure und das Benzodiazepam Clonazepam zwei viel versprechende Medikamente für dieses Schmerzbild zu sein [2].


Literatur
1.    Baad-Hansen L: Atypical odontalgia – pathophysiology and clinical management. J Oral Rehabil 2008;35:1-11
2.    Buchanan J, Zakrzewska J, Türp JC [Kommentar]: Mund- und Zungenbrennen. In Ollenschläger G, Bucher HC, Donner-Banzhoff N, Forster J, Gaebel W, Kunz R, Müller OA, Neugebauer EAM, Steurer J (Hrsg): Kompendium evidenzbasierte Medizin. 6. Aufl. Hans Huber, Bern 2007, 1023-1029
3.    Sommer C, Pfaffenrath V, May A, Türp JC, Engelter S, Wöber C: Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz. In Diener HC, Hacke W (Hrsg): Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Thieme, Stuttgart 2007
4.    Türp JC: Die atypische Odontalgie. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2005;115:1006-1011
5.    Türp JC: Therapeutische Lokalanästhesie zur Behandlung der atypischen Odontalgie. Eine Fallserie. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2005;115:1012-1018


 

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